Positionen des Bezirksvorstands der DKP Schleswig-Holstein

„Die Reichen müssen zahlen!“ lautet zurecht die Überschrift unseres aktuellen vom Parteivorstand veröffentlichten „Krisen-Info“. Im Aufruf von „Zero-Covid“ heißt es: „Die notwendigen Maßnahmen (zur wirksamen Bekämpfung der Pandemie) kosten viel Geld. Die Gesellschaften in Europa haben enormen Reichtum angehäuft, den sich allerdings einige wenige Vermögende angeeignet haben. Mit diesem Reichtum sind die umfassende Arbeitspause und alle solidarischen Maßnahmen problemlos finanzierbar. Darum verlangen wir die Einführung einer europaweiten Covid-Solidaritätsabgabe auf hohe Vermögen, Unternehmensgewinne, Finanztransaktionen und die höchsten Einkommen.“

Unser Parteivorsitzende Patrik Köbele äußerte sich zu „Zero-Covid“ wie folgt: „Der bereits von Zehntausenden unterzeichnete Aufruf »Zero Covid« verstärkt die Debatte. Um die Zahl der Ansteckungen mit dem Virus auf null zu bringen, sollen Arbeitsstätten und Lernorte für mehrere Wochen geschlossen werden. Die Forderungen von »Zero Covid« sind logisch und orientieren sich an den Maßnahmen, die einen erfolgreichen Kampf gegen die Pandemie in China, in Vietnam und Kuba möglich machten: Drastische Einschränkungen der Kontakte nicht nur in der Freizeit, sondern auch bei der Arbeit, schnelle und regelmäßige Tests für alle, konsequente Pflege der Betroffenen und Ausbau der Ressourcen des Gesundheitswesens.“ Diese Aussage von Patrik Köbele „„junge welt“ v. 21.01.21) können wir nur unterstreichen. Soweit weit, so gut.

Der Bezirksvorstand der DKP-Schleswig-Holstein unterstützt prinzipiell den Aufruf der auch in Deutschland aufstrebenden internationalen Kampagne „Zero-Covid“. Was nicht ausschließt, dass um die bestmögliche und machbare Umsetzung dieser Kampagne im Interessen der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten im Detail ordentlich gerungen werden muss. Dies wird uns mit der zwar richtigen, aber für die konkrete Kampforientierung sehr allgemeine Aussage „Die Krise heißt Kapitalismus“ nicht abgenommen. Gefragt sind plausible, konkrete und möglichst kurzfristige Handlungsperspektiven. Die Zeit drängt.

Mit Sorge und Unverständnis nehmen wir allerdings in letzter Zeit wahr, dass eine grundsätzlich positive Haltung gegenüber der Kampagne „ZERO-COVID“ zunehmend häufiger infrage gestellt, abgewertet oder gar als „falsche Orientierung“ abgelehnt wird. So u.a. in den Thesen des DKP-LV Brandenburg. Aber auch in diversen UZ-Leserbriefen und Besprechungen ist dies zu orten. Eine intensive Diskussion zur weiteren Klärung ist also unerlässlich. Und zwar konkret, nicht im Rahmen einer verhedderten Metadiskussion. Wir begrüßen daher die von Partei und der UZ nun eröffnete Debatte und beteiligen uns daran. In der Erwartung, das im Widerstreit der Positionen und Argumente wir mehr Klarheit der Erkenntnis und Orientierung im Handeln erringen.

Zunächst ist auffallend, dass es zwischen dem Aufruf „Zero-Covid“ und anderen Aufrufen mit antikapitalistischem Anspruch viele Überschneidungen gibt. Diese wollen hier nicht wiederholen. Vielmehr möchten wir zwei zentrale Argumente aufgreifen, die in vielfältigen Varianten gegen den „Zero-Covid“ Aufruf in Stellung gebracht werden. Diese beiden zentralen Argumente lauten verkürzt (später behandeln wir sie genauer): a) der Aufruf ist abzulehnen, weil er der Kapitaloffensive Vorschub leistet, sich gegen die Arbeiterklasse richtet und damit den monopolkapitalistischen Interessen dient (so in den Thesen des Landesvorstands der DKP-Brandenburg). Der andere häufig genannte Einwand lautet: b) die Forderungen sind prinzipiell richtig, jedoch in einer kapitalistischen Gesellschaft und insbesondere im Zusammenhang mit der Ausweitung auf die europäische Ebene illusionär (s. Lucas Zeise UZ 29.01 „ZeroCovid ist attraktiv, aber hoffnungslos utopisch“). Unterschiedliche Bewertungen, die jedoch schon einen gewaltigen Widerspruch deutlich machen. Einmal befinden sich die „Zero-Covid“ Befürworter mit ihren Forderungen objektiv in Reihen des Klassenfeindes. Auf anderen Seite sind es attraktive positiv bewertete Forderungen gegen das Kapital, aber leider nicht umsetzbar. Diese Spannweite der Gegenposition ist bemerkenswert. Schauen wir uns das näher an.

Beginnen wir mit den oben erwähnten Thesen des LV Brandenburgs, um anschließend noch einige grundsätzlichere Fragen genauer zu beleuchten. Zunächst zur zweiten These des LV Brandenburg. Darin wird unterstellt, dass „Zero-Covid“ fordert, alle(!) Betriebe und Einrichtungen (es werden sogar, um das Ganze auf die Spitze zu treiben die Bereiche „kommunale Daseinsvorsorge“ sowie „Krankenhäuser und medizinische Einrichtungen“ genannt) sollen geschlossen werden. Diese Aussage ist schlicht falsch, sie steht nicht im Aufruf. Dort steht stattdessen: „Wir müssen die gesellschaftlich nicht dringend erforderlichen Bereiche der Wirtschaft für eine kurze Zeit stilllegen“. Diese Maßnahme, konsequenter kurzer Shutdown selbstverständlich ohne Schließung der Krankenhäuser und anderer lebenswichtiger relevanter Einrichtungen, ist in vielen Ländern erfolgreich umgesetzt worden. In Deutschland nicht! Die verheerenden Folgen sehen wir gerade in der anlaufenden dritten Pandemiewelle mit zurzeit nicht absehbaren Ende und Folgen. Die großen Konzerne, die Monopolbourgeoisie und ihre Sachwalter in Politik und Medien haben eine Umsetzung dieser Forderung bisher erfolgreich verhindert. Wir kommen gleich noch mal darauf zurück. Derzeit fordern insbesondere Mediziner, das Fach- und Hilfspersonal, jene, die am dichtesten dran sind an der Verzweiflung, am Elend und Tod der Betroffenen von der Politik vor allem eins. Den Kollaps der Intensivstationen durch geeignete Maßnahmen zu verhindern und „das Krankenhauspersonal nicht im Stich zu lassen.“ Die schon vor dieser Pandemie permanente Zerstörung des Gesundheitssektors führt mit zunehmender Tendenz zur Flucht des Pflegepersonals aus dem kaum noch zu verkraftenden Berufsalltag. Mit der Folge, das noch mehr Personal aus osteuropäischen und anderen Ländern abgeworben wird und das Ausbluten sich dort beschleunigen wird. Auch für diese Menschen tragen wir eine Verantwortung, – eine nationale und eine internationalistische.

In diesem Zusammenhang beleuchten wir nun auch die erste These des LV Brandenburg. Da wird gleich eingangs ein schweres Geschütz aufgefahren. Bei näherer Betrachtung eignet es sich bestenfalls als Rohrkrepierer. Behauptet wird in den Thesen, dass „Zero-Covid“ die Interessen der werktätigen Bevölkerung nicht verfolgt, weil im Zentrum des Aufrufs steht, den Inzidenzwert durch Herunterfahren des gesellschaftlichen Lebens inklusive Betriebschließungen auf null zu senken abstrakt(!) ist und „nicht aus den konkreten Kräfteverhältnissen des Klassenkampfes in Deutschland abgeleitet ist“. Dadurch, so weiter die These, entsteht eine Fehlorientierung, die den antimonopolistischen Widerstand gegen die reaktionäre Offensive der Monopolbourgeoisie unter dem Deckmantel des Gesundheitsschutzes behindert.

Zu fragen wäre, ob sich die Genossinnen und Genossen wirklich bewusst sind, was sie da sagen und empfehlen? Wir wollen das Ganze vom Kopf auf die Füße stellen.

Zunächst sei durchaus die Frage gestattet, weshalb die Regierung als Sachwalter der Großkonzerne und Monopole, wenn „Zero-Covid“ objektiv den Interessen und der Offensive der Monopolbourgeoisie dient, weder von sich aus diese Forderungen aufstellt und durchzusetzen versucht, noch zumindest die Kampagne für sich instrumentalisiert. Die Propagandisten des Kapital sprechen sich stattdessen vehement gegen diese Forderungen aus. Wissen sie nichts von ihren Interessen sind und was sie tun? Sie machen weiter wie bisher, predigen entschieden zusehends das Mantra der zügigen Lockerungen und Aufweichungen notwendiger international anerkannter und bewährter Pandemieregeln.

Der seit Beginn der Pandemie praktizierte Jo-Jo Lockdown, das Sterbenlassen auf niedrigem Niveau (kumuliert bis heute fast 80.000 Tote in Deutschland) ist die Verachtung eines grundlegenden Menschenrechts. Das Recht auf Schutz und Erhalt des Lebens. Im Sterben bzw. Siechtum begriffen sind aber nicht nur viele Erkrankte. Kleine und mittlere Betriebe, Solo-Selbstständige in Kultur- und anderen Einrichtungen, praktisch ganze Bereich der nichtmonopolistischen Akteure gehören dazu. In der Arbeiterklasse sind es vor allem die Geringverdiener. Ohne oder mit unzureichender staatlicher Unterstützung ausgestattet, weitgehend ohne Anspruch auf Kurzarbeitergeld fristen sie seit nunmehr 13 Monaten in einer immer hoffnungsloseren Szenerie im beengtem Wohnraum in der Hoffnung, dass die Pandemie bald zu Ende ist. Sie sind insbesondere die Leidtragenden dieser staatsmonopolistischen Interessenspolitik, auch durch den oben genannten Jo-Jo Lockdown. Gleichzeitig sehen wir, wie die großen Industrie- und Finanzkonzerne mit dem staatlichen Schutzmantel und dem „Krisenmanagement“ nicht nur bestens durch die Krise kommen und Extraprofite realisieren, sondern sich der Konzentrations- und Zentralisationsprozess des Kapitals zusätzlich beschleunigt. Für die nichtmonopolistischen Bereiche, und nicht nur für diese, würde ein kurzer wirksamer Shutdown den Schaden deutlich minimieren und endlich eine Überlebensperspektive anbieten. Erfahrungen haben wir aus Ländern, wo entsprechend verfahren wurde.

Was wäre denn ansonsten auch die Alternative? Sofern man nicht zu der wissenschaftsfeindlichen, rechtslastigen Verschwörungsclique der Coronaleugner und –verniedlicher gehört, besteht Einigkeit, dass einer Pandemie nicht freier Lauf gewährt werden darf. Stattdessen muss mit dem aus bewältigten Pandemien erworbenen Erfahrungsschatz konsequent auch Covid19 bekämpft werden. Vorrang hat der Erhalt des menschlichen Lebens. Um dies zu gewährleisten sind dieser Zielsetzung entsprechende adäquate umfassende Hygienemaßnahmen und -standards – hier das das Wort mal richtig angebracht – tatsächlich alternativlos.  Die Ansteckungs- und Sterbefälle für die Aufrechterhaltung monopolkapitalistischer Verwertungsbedingungen auf einem „noch vertretbaren“ Niveau auszupendeln, wie in Deutschland und vielen anderen kapitalistischen Ländern praktiziert, ist zynisch und menschenverachtend. Entspricht den kapitalistischen inneren Gesetzmäßigkeiten. „….für 100 Prozent (Profit) stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des Galgens.“ (MEW Bd.23, S. 788) Genau aus diesem Grund richten sich bisher die Einschränkungen eben nicht gegen das herrschende Kapital, sondern insbesondere gegen die nichtmonopolistischen Akteure.

Das hat auch damit zu tun, dass die von der Regierung geplanten und umgesetzten Maßnahmen einerseits die Verwertungsbedingungen des Kapitals nicht infrage stellen dürfen, andererseits jedoch ein staatliches Handeln erforderlich ist, um die Akzeptanz in der Bevölkerung für staatliches agieren in dieser besonderen Situation aufrecht zu erhalten. Mit dem für die Herrschenden befriedigendem Ergebnis, dass diese Aktivitäten gerade dazu ausreichen, einen katastrophalen Kollaps mit unkalkulierbaren Folgen zu verhindern. Diese Interessenspolitik verläuft, wie wir gerade mit der derzeitigen Zuspitzung der Pandemie sehen, nicht widerspruchsfrei. Dieses staatliche Agieren weist durchaus Parallelen zum Umgang mit der Zerstörung der Umwelt und der Klimafrage auf. Aber es gibt eben kein Verbrechen, das es nicht für den Profit riskiert. Das abwägen mit vertretbaren Opferzahlen müssen wir konsequent bekämpfen.

Gegen diese oben beschriebene menschenverachtende Politik wendet sich der Aufruf „Zero-Covid“.

Überall dort, wo Coronaleugner, -verniedlicher und Pandemiemaßnahmegegner besonders starken Einfluss auf das wirtschaftliche und politische Geschehen haben, sind sowohl die Erkrankungen und Sterbezahlen exorbitant hoch (beim Faschisten Bolsenaro in Brasilien haben wir heute, da wir diese Zeilen schreiben über 100.000 Covid-Fälle und 3.650 Tote).

Auf der anderen Seite haben wir dort, wo die Pandemiebekämpfung unverzüglich und konsequent durchgeführt wurde und wird (nicht nur in China, Vietnam und Cuba), beeindruckende Erfolge.

Diese Tatsachen sollten uns doch zu einer wissenschaftlich basierten vernünftigen marxistischen Einsicht und Handlungsorientierung führen.

Wenn die jüngsten Befragungen der Bürger exakt erhoben und wiedergegeben sind, dann spricht sich die größte Gruppe unter den Befragten für eine konsequentere Umsetzung der Pandemiemaßnahmen aus. Nur knapp ein weiteres Drittel wünscht sich Lockerungen. Das sagt zwar nichts über die Richtigkeit der Forderungen, aber viel über die prinzipielle Akzeptanz von „Zero-Covid“ und das vorhandene Protestpotenzial aus. Es zeigt, dass mit derzeit 108.000 Unterschriften nur in Deutschland für den Aufruf und die Kampagne noch viel Luft nach oben ist.

Zum Schluss noch mal zu dem vorgetragenen Einwand, die Ausrichtung von ZERO-Covid“ ist zwar richtig, ließe sich aber nicht oder nur schwerlich umsetzen. Sei deshalb illusionär. Nun, über Umsetzungsschwierigkeiten einer antimonopolistischen Interessenpolitik brauchen wir sicher nicht zu streiten. Wir haben viele richtige aber schwierig umzusetzende Forderungen sowohl in unserem Programm als auch in unserer Tagespolitik. Wir werfen deshalb nicht die Flinte ins Korn. Schon deshalb nicht, weil wir wissen und wollen, dass die damit verbundene Propagierung und Diskussion richtiger Inhalte und Ziele eine klärende, mobilisierende und die Kräfte ausweitende Funktion erfüllt.

Und warum eigentlich soll diese gegen die monopolkapitalistischen Interessen gerichtete Strategie denn nicht umsetzbar sein? Den Einwand von Lucas Zeise mit der komplizierten Lage in der EU nehmen wir ernst. Antworten aber darauf, dass der internationale Charakter der Kampagne ja gerade dieses Kampffeld für die Arbeiterklasse erweitern soll und sich nicht im engen Fokus nationaler Interessen verfängt. Aber selbst wenn wir die Kritik an der Ausrichtung an der EU so stehen lasse, so beantwortet dies nicht die Frage, warum für die richtigen Forderungen von „Zero-Covid“ nicht mindestens im Rahmen der nationalen Gesetztgebung eintreten kann.

Wesentlich ist auch, dass die Umsetzung des Forderungskataloges den Kapitalismus nicht zur Disposition stellt, sondern „lediglich“ nach dem Motto „Die Reichen sollen zahlen“ profitschmälernd wirkt. Das ist im Kapitalismus Alltagsgeschäft.  Verkraftbar, ohne dass Blut fließen muss. Erfolgreiche mehrwöchige Streiks für materielle Verbesserungen, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und andere systemimmanente ökonomische Forderungen haben zwar unmittelbar Auswirkungen auf die organische Zusammensetzung des Kapitals, sind aber abhängig von der Bereitschaft und Kampfkraft der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten durchsetzbar und vor allem angeraten. Dies spiegelt sich wieder im Aufruf der Gewerkschafter zur Unterstützung von „Zero-Covid“. Der Versuch der Abwälzung der Krisenlasten durch das Monopolkapital auf die Arbeiterklasse und nichtmonopolistische Akteure bleibt zweifelsfrei bestehen. Geschenkt kriegen wir nichts, die Auseinandersetzung bleibt dynamisch wie bei allen anderen Kämpfen auch. Wir haben jedoch bei ZERO-Covid den nicht zu unterschätzenden Nutzen, das Gesundheitssystem zu verteidigen und den Versuch, den vermeidbaren Tod vieler Menschen zu verhindern.

In diesem Sinne befürworten und unterstützen wir den Aufruf „ZeroCovid“.